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Wieviel Technik braucht ein Mountainbike?

Die Diskussion um technische Neuerungen bei Mountainbikes wurde in den letzten paar Jahren fast ausschließlich mit Bezug auf die ideale Laufradgröße geführt. Im heutigen Beitrag möchte ich die wichtigsten technischen Entwicklungen Revue passieren lassen und versuchen, eine Bewertung über den Nutzen derselben für die Biker abzugeben. Dabei beziehe ich mich in erster Linie auf die liebsten Sportgeräte von Freizeit- und Tourenfahrern, die vielleicht auch mal ein Amateurrennen oder einen Alpencross fahren möchten. Denn der geplante Verwendungszweck beeinflusst die Wahl des Mountainbikes wesentlich. Diese Festlegung grenzt meine Betrachtung auf Hardtails, Race- und Tourenfullys ein.

Über die ideale Laufradgröße wurde viel und kontrovers diskutiert, es scheint jetzt, einen Trend in Richtung 29er, aber auch 27,5 Zoll (650B Standard), zu geben, mit etwas Platz für 26 Zoll im Einstiegsbereich bzw. für spezielle Verwendungszwecke der Bikes (siehe vorhergehenden Beitrag).

Die wesentliche Evolution bei Mountainbikes hat sich aber schon in den ersten Jahren abgezeichnet und zwar mit der Einführung der Federgabeln in den frühen 1990er Jahren. Anfangs mit dem, heute lächerlich erscheinenden, Federweg von 25 - 40 mm, dieser wuchs dann sukzessive auf 80, dann auf 100 und 120 mm an. Bei Hardtails mit 29er Laufrädern sind heute 80 bis 100 mm Standard, bei 26 oder 27,5 Zoll 100 bis 120 mm. Dass noch wesentlich mehr geht, sieht man im Bereich Downhill oder Enduro, wo Federwege bis 200 mm verfügbar sind.

Die Federung an der Front hat riesige Vorteile für das Handling der Bikes gebracht, sowohl bergauf als auch bergab bringt eine Federgabel besseren Bodenkontakt und wesentlich mehr Komfort. Der Gewichtsnachteil wurde durch die Entwicklung von leichteren Rahmen, Anbauteilen und Felgen wett gemacht. In der Regel sind Federgabeln Teleskopgabeln mit einer Gabelbrücke, Ausnahmen hierzu bilden die Syteme Lefty und Fatty von Cannondale, wo entweder nur ein Federbein da ist bzw. die Federung im Gabelschaftrohr verbaut ist. Eine vollständige oder teilweise Blockierung der Gabel ist durch verschiedenene Steuerungen am Lenker oder oben an der Gabelbrücke möglich und soll das Pumpen der Gabel im Wiegetritt verhindern. Das automatische "terralogic" System findet man nur mehr selten (z. B. Brain-System von Specialized).
 
 
Große Fortschritte wurden bei den Rahmen erzielt, sowohl bei der Materialauswahl als auch bei den Geometrien. Die Rahmen waren ursprünglich fast ausschließlich aus Stahl. Dieser Werkstoff wurde dann vom Aluminium verdrängt. Nachdem durch geringere Wandstärken und verschiedene Formgebungstechniken die Spielräume beim Aluminium ausgereizt waren, wurde verstärkt auf Carbon gesetzt (siehe eigenen Beitrag). Andere Werkstoffe sind Titan oder Kombinationen der vorgenannten Werkstoffe. Die aktuellen Geometrien unterscheiden sich nur noch kaum voneinander. Je nachdem, ob ein Bike auf agil oder laufruhig getrimmt werden soll, spielt man mit steileren oder flacheren Lenkwinkeln. Wenn man am Berg mehr Vortrieb möchte, wird der Sitzwinkel steiler. Die Unterschiede bei den wichtigsten Herstellern sind marginal und bewegen sich in Bereichen von 0,5 - 1,5 Grad. Der sogenannte Diamantrahmen in Dreiecks- bzw. Trapezkonstruktion mit Tretlager am Sitzrohr und Unterrohr, kurzem Steuerrohr zwischen Unterrohr und Oberrohr sind Standard. Exotische Rahmenformen sind verschwunden.
 
 
Auch bei der Schaltung der Bikes hat sich sehr viel getan. Standen in den Anfängen 3x6 Übersetzungsstufen zur Verfügung, sind diese zuerst auf 3x8, 3x9 und schließlich auf 3x10 angewachsen. Der Gegentrend zu immer mehr Abstufungen wurde von SRAM mit der XX gesetzt, mit 2x10 Übersetzungsstufen. Diese bietet beinahe soviel Bandbreite wie eine Dreifachkurbel, bei weniger Überschneidungen (siehe Beitrag) und weniger Gewicht. Der letzte Streich ist wieder von SRAM mit der XX1 - hier stehen nur mehr 1x11 Schaltstufen zur Verfügung. Für einen Hobbybiker bietet diese Schaltung jedoch zu wenig Auswahl und schränkt den Einsatzbereich eines Bikes zu sehr ein. Es wurde auch mit den verschiedensten Schalthebeln experimentiert, hier sollen nur einige wenige erwähnt werden wie z. B. Dualcontrol, Rapidfire, Gripshift.
 

Die Einführung der V-Brake Bremsen war gegenüber dem Cantilever System schon eine kleine Revolution. Aber die echte Erneuerung war der Schritt von den Felgenbremsen zu den hydraulischen Scheibenbremsen. Damit wurden die Bremsleistungen wesentlich verbessert. Schlauchplatzer wegen überhitzter Felgen gehörten der Vergangenheit an, ebenso wie negative Einflüsse auf die Bremswirkung durch Nässe und Schmutz. Ein Problem der Scheibenbremsen ist jedoch nach wie vor die geringe Standfestigkeit der Bremsen, diese werden häufig zu knapp dimensioniert (140 bzw. 160 mm Bremsscheiben um ein paar Gramm einzusparen) und bauen somit bei längeren Abfahrten in der Bremswirkung ab. Auch der Verschleiß der Bremsbeläge ist recht groß. Lästig ist auch die Geräuschentwicklung - durch die gewichtssparende Konstruktion verziehen sich die Bremsscheiben und verursachen lästige Geräusche. Außerdem absolviert man, je nach Streckenauswahl, mit einem Satz Bremsbeläge nur 500 - 1.000 Kilometer. Bei Autos und Motorrädern sind derlei Probleme unbekannt und würden keinesfalls toleriert, bei Mountainbikes interessanterweise schon. 

 
Ein neues Fahrgefühl beim Mountainbiken brachte der Umstieg auf das Fully. Die Federung am Heck ermöglicht eine neue Fahrtechnik, hilft sowohl in der Steigung als auch in der Abfahrt Hindernisse zu überwinden und vermittelt sehr guten Bodenkontakt. Die unterschiedlichen Hinterbauten (Eingelenker, Viergelenker, VPP-Hinterbau) sollen die negativen Aspekte wie das Wippen bergauf, Pedalrückschläge und Verspannungen im Antrieb vermeiden. Plattform- und Blockiersysteme sollen das Wippen unterbinden oder die Dämpfung straffer einstellen. Als Nachteile von Fullys sind ein erhöhter Wartungsaufwand durch zusätzliche Gelenke, Dämpfer und Blockiersystem sowie ein höheres Gewicht zu nennen.


Die letzte Innovation, die das Biken verändert, ist die absenkbare Sattelstütze. Während bei vielen raceorientierten Hardtails oder Fullys die Sattelstütze oft sogar fix geklemmt ist und somit nicht ohne Werkzeugeinsatz vor der Abfahrt abgesenkt werden kann, erlauben die automatischen Systeme über eine Hydraulik das beliebige und einfache Absenken und Anheben des Sattels. Dies bringt zwar  Zusatzgewicht (zwischen 300 und 600 Gramm), zusätzliche Leitungen/Züge und ein zusätzliches Bedienelement am Lenker, lohnt sich aber auf längeren Touren mit häufigem Auf und Ab und beeinflusst die gesamte Fahrdynamik positiv.

Mit großem Unmut beobachte ich den Trend bzw. Versuch, mehr Elektronik am Mountainbike zu verbauen. Der elektronisch angesteuerten Dämpferverstellung mit verschiedenen Fahrmodi und einem Automatikmodus kann ich absolut gar nichts abgewinnen. Die Sache mag zwar im Neuzustand des Mountainbikes eine ganz nette Spielerei sein, bringt aber keine Vorteile und im Laufe der Jahre sicher eine Menge Ärger. Dieselbe Funktion gibt es z. B. bei Scott mit dem TwinLoc System, bei Fox als CTD, bei Specialized mit Brain, dafür braucht es wirklich keine Elektronik. Man denke allein an den notwendigen Batteriewechsel, an die Feuchtigkeitsanfälligkeit, die Empfindlichkeit von filigranen Kabeln usw. Eine Bauchlandung beim Einsatz von Elektronik haben große Hersteller bereits hinter sich, z. B. Cannondale vor einigen Jahren mit der simplen Blockierung der Lefty-Gabel über einen elektronischen Taster. Dieser ist genau so schnell vom Markt verschwunden, wie sich die Anwender über den lästigen Batteriewechsel und die ärgerlichen Fehlfunktionen beschwert haben. Auch die elektronische Schaltung, wie seit zwei Jahren vermehrt bei Rennrädern eingesetzt, ist für MTBs zu sensibel und für den harten Einsatz nicht geeignet. Außer einem vernünftigen Tacho haben elektronische Bauteile an einem Mountainbike nichts verloren!

Fazit: Für ein funktionstüchtiges MTB braucht es nicht allzu viel. Wichtig ist ein leichter und stabiler Rahmen aus Aluminium (Carbon Optional) mit einer ausgewogenen Geometrie, eine Schaltung aus dem mittleren Preissegment (SLX, XT, X7, X9), moderne Scheibenbremsen - am besten mit 180 mm Bremsscheibe hinten und vorne, leichte 29er Laufräder. Hardtails erfordern wenig Pflege, die Federgabel sollte 100 mm Federweg bieten. In Verbindung mit gut dimensionierten Reifen (mind. 2,25 Breite, faltbar), mit niedrigem Luftdruck gefahren (max. 2 bar), reicht die Dämpfung für die meisten Touren und sogar für einen Alpencross aus. Die Waage bleibt bei rund 11 Kilogramm stehen und die Brieftasche wird mit 1.500 bis 2.000 Euro belastet.  

Wenn es etwas mehr fahrdynamik sein soll, dann lohnt der Umstieg auf ein Fully (Race, Marathon), ist aber mit mehr Gewicht, höherem Wartungsaufwand/höherer Anfälligkeit und höherem Preis verbunden. Beim Fully muss es nicht ein 29er sein, jedenfalls sollte auch 27,5 oder 26 Zoll, abhängig von Körpergröße (unter 1,75 m) und zu fahrenden Touren (hoher Trailanteil, technische Singletrails), mit in die Auswahl kommen (Nachträgliche Änderung - 29 ist mittlerweile Standard, evtl. auch Mullet, also 29er vorne, 27,5 hinten). 
 

Kommentare

  1. Hallo, du schreibst, dass ein 29er Hardtail mit mittelmäßiger Ausstattung für mich genug sein soll! Du selber fährst aber ein High-End Fully! Wie soll ich das verstehen?

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  2. Hallo - es stimmt ich fahre ein Scott Spark Premium und somit ein Bike der Oberklasse. Klar macht es Spass, ein Premium Bike zu fahren, Specialized Epic S-Works, ein Cannondale Scalpel Carbon oder eben mein Scott.
    Um aber ein Jedermann-Rennen, eine Tagestour oder einen Alpencross zu fahren braucht es das nicht (siehe auch meinen Bericht über die Dachstein Runde). Hier sollte der Fokus vor allem auf das Wesentliche beschränkt sein: wenig anfällig für Reparaturen, universell einsetzbar und keine exotischen Anbauteile, damit diese überall verfügbar sind.

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